Abschied nehmen – mit Zeit und Raum
Eva-Maria Finkam richtet sich mit «Sternlicht Bestattungen» nach den individuellen Bedürfnissen der Trauerfamilie und lässt diese aktiv am Bestattungsprozess teilhaben. Weshalb dies heilsam sein kann und warum Trauerarbeit auch bereits vor dem Tod beginnt, darüber spricht sie im Interview.
Redaktion: Tabea Rosa
Bilder: bild-schoen GmbH / Katrin Brunner

Vor rund acht Jahren haben Sie sich dazu entschieden, ein Angebot für Kinder- und Jugendlichen-
Bestattungen aufzubauen. Wie kam es dazu?
Der Tod eines Kindes ist eine Ausnahmesituation, die einer Familie alles abverlangt. Jedes Jahr wird dieses Tabuthema für etwa 500 Familien in der Schweiz zur schmerzhaften Realität. Während meiner Tätigkeit als Bestatterin habe ich gemerkt, dass die Bedürfnisse Angehöriger eines verstorbenen Kindes oder Jugendlichen anders gelagert sind als diejenigen von Angehörigen erwachsener Verstorbenen. Und diesen besonderen, filigranen Bedürfnissen wurde bisher zu wenig Rechnung getragen. Für die Situation «Kindertod» braucht es ein Gesamtkonzept, das stärkende Rahmenbedingungen für die gesamte Trauerfamilie schafft. Denn die Wünsche und Bedürfnisse beim Bestattungsablauf für Kinder und Jugendliche sind viel detaillierter, enorm persönlich und meist einzigartig. Deshalb habe ich das Unternehmen «Sternlicht Bestattungen» gegründet.
«Sich gesund von seinem Kind zu verabschieden heisst, sich persönlich zu beteiligen.»
Eva-Maria Finkam
Worauf legen Sie im Umgang mit Angehörigen verstorbener Kinder und Jugendlichen Wert?
Konfuzius hat einmal gesagt: «Ich höre und ich vergesse. Ich sehe und ich erinnere mich. Ich tue und ich verstehe.» Für mich steht die Stärkung des Selbstwirksamkeit und somit die Stabilisierung der Familie im Vordergrund – angepasst an die verschiedenen Lebenssituationen und Ressourcen. Für jede Familie soll in ihrem Rahmen eine persönlich gelebte Bestattungskultur möglich werden. Für mich gibt es also keine goldene Regel, sondern massgebend sind die verschiedenen Bedürfnisse der Betroffenen. Sich gesund von seinem Kind zu verabschieden heisst, sich persönlich zu beteiligen. Das heisst, Eltern, Geschwister und Familie brauchen ein Konzept, das Boden und Werkzeuge bereitstellt für eine Zeit, die sie so gestalten können, wie es für sie als Familie stimmt. Es gibt keine Patentlösung für Trauer, ausser sie zu leben und ihr Raum zu geben.
Können Sie noch näher darauf eingehen?
Für viele Eltern ist es zum Beispiel wichtig, das Kind nach dem Tod selbst zu pflegen und ihm seine Lieblingskleider anzuziehen. Ein Kind liebte Beispielsweise seine Wanderschuhe und deshalb trug es diese auch im Sarg. Intuitiv haben junge Familien das Bedürfnis, die Brauche unserer alten Bestattungskultur frei an ihre persönliche Situation angepasst zu leben. Zum Beispiel, wenn sie das Kind zu Hause aufbahren und dort in Ruhe Abschied nehmen möchten. Wieder andere möchten im Spital oder Krematorium Abschied nehmen. Gewisse Eltern möchten anwesend sein, wenn das Kind auf die letzte Reise geht, andere möchten zum Beispiel lieber in den Garten gehen, um dort Schmetterlinge fliegen zu lassen, oder sie zünden im Wald ein symbolisches Feuer an. Vielen ist es auch ein Anliegen, die Urne gemeinsam mit den Geschwisterkindern mitzugestalten oder den Sarg zu bemalen. Auch mit Schulen oder Kindertagesstätten hatte ich auf Wunsch der Angehörigen bereits Kontakt, damit die Freundinnen und Freunde des verstorbenen Kindes oder Jugendlichen die Möglichkeit erhielten, sich zu verabschieden. All diese Wünsche sind würdig und schön – und sie sollen von den Familien gelebt werden dürfen. Denn nur so kann in der Bestattungszeit bereits ein erster Trauerzyklus stattfinden. Viele Familien erzählen zum Beispiel, wie sie in den Bestattungstagen nach langer Krankheit ihres Kindes eine Art Frieden fanden. So konnten Sie die Tage zwischen Tod und Beerdigung selbst gestalten und leben – und nicht nur überleben. Eine Mutter formulierte einst, sie habe diese Abschiedszeit als eine Art «Heiligkeit», einen Wegweiser in ein anderes, gutes Leben empfunden.
Können sich auch Geschwisterkinder am Beerdigungsprozess beteiligen?
Meine Antwort an die Angehörigen lautet: Die Geschwisterkinder sollen und dürfen immer dabei sein, solange sie und die Eltern es wünschen. Zum Beispiel hat ein Junge nach dem Tod seines Bruders alle Besucherinnen und Besucher zuhause von sich aus an der Hand zum Sarg seines Bruders geführt. Er selbst entschied, gemeinsam mit dem Grossvater im Garten Herbstblätter zu sammeln, um diese ins Grab zu geben. Diese aktive Beteiligung am Bestattungsgeschehen kann sehr hilfreich sein – und sie reduziert auch die Doppelbelastung der Eltern, welche in dieser Ausnahmesituation zusätzlich in grosser Sorge um das Geschwisterkind sind.

Oft stehen Sie mit Familien bereits vor dem eintretenden Tod des Kindes oder Jugendlichen in Kontakt. Weshalb ist Ihnen dies wichtig?
Ich konzentriere mich nicht nur auf die Bestattungstage, denn das Abschiednehmen beginnt schon vorher. Hier ist das Vorgespräch mit der Familie enorm wichtig. Es soll entlasten und Ängste abbauen, fällt aber auch hier von Familie zu Familie sehr unterschiedlich aus. Und wiederum zeigen sich die Unterschiede zur Erwachsenen-Bestattung, denn Eltern verstorbener Kinder und Jugendlicher haben einen enorm hohen Informationsbedarf. Sie wollen aber nicht etwa wissen, was eine Nachlassregelung ist, sondern ob sie das verstorbene Kind auch zu Hause aufbahren, um im eigenen Tempo Abschied nehmen können. Oder sie wollen erfahren, inwiefern sie die Geschwisterkinder am Abschiedsprozess teilhaben lassen sollen oder welche Trauerbegleitungsangebote es gibt. Eine transparente und authentische Kommunikation ist deshalb enorm wichtig. Ein Vater erzählte mir rückblickend an die Bestattung seines Kindes, dass ihn bereits ein paar besprochene Eckpunkte im Vorfeld des Todes enorm erleichtert hätten. So konnte er sich wieder voll auf sein Kind konzentrieren und ihm die bestmögliche Lebensqualität vor dem Tod schenken. Eltern wollen immer bis zum letzten Moment für ihr Kind da sein.
«Noch heute bin ich so froh um die Möglichkeiten zum selber Gestalten, das gab meinem Mann und mir damals so zu sagen etwas in die Hand, um noch etwas für unser Kind tun zu können.»
Mutter eines verstorbenen Kindes
Auf welche Herausforderungen stiessen Sie bei der Gründung von «Sternlicht Bestattungen»?
Vor meiner Firmengründung gab es enorm wenige Hilfsmittel für Kinder- und Jugendlichen-Bestattungen, ich habe vieles von Grund auf anhand der Bedürfnisse der Familien neugestaltet. Zum Beispiel den Weggefährtensarg mit den liebevollen Tierfiguren, verschiedene Urnen mit den Trostsymbolen Regenbogen, Stern oder Engelsflügel. Immer wieder kam von Familien auch der Wunsch, ihr Kind auf der letzten Reise begleiten zu können – vom Trauerhaus zur Kirche oder zum Friedhof. Im üblichen Bestattungswagen gibt es jedoch nur Platz für eine Person, was bedeutet, dass nur ein Elternteil mitfahren kann und der andere sowie die Geschwister mit dem eigenen Fahrzeug oder den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen müssen. Das ist eine zusätzliche Belastung. Deshalb habe ich den ersten familienfreundlichen Bestattungswagen anfertigen lassen, in welchem bis zu vier Familienmitglieder Platz finden. Er ist mit Regenbogen- und Sternenhimmel gestaltet, für die Geschwisterkinder gibt es einen Kindersitz und Plüschtiere. Weiter biete ich der Trauerfamilie einen Kreativkoffer, mit welchem man die Urne oder den Sarg ganz individuell dekorieren kann, für die Geschwisterkinder beinhaltet er auch Knabbereien und Bilderbücher zum Thema.
«In der Bestattungszeit verstehe ich mich als eine Art Lotsin für Familien.»
Eva-Maria Finkam
Sie bezeichnen Ihr Bestattungskonzept auch als Familienschiff. Weshalb?
In der Bestattungszeit verstehe ich mich als eine Art unterstützende Lotsin für die Familien. In dieser Funktion besteige ich mit grossem Respekt als Gast das Familienschiff, um es auf einer stürmischen und prägenden Lebenswegstrecke zu begleiten und ihm Orientierung zu geben. Die Familien bestimmen individuell, wie viel Orientierungshilfe sie brauchen. So bleiben sie selbstbestimmt Kapitän auf ihrem Familienschiff. Wenn dieses sicher in ruhigere Gewässer einfährt, überlasse ich es wieder gänzlich der Familie. Gast zu sein auf diesem Familienschiff berührt mich immer wieder, und ich empfinde für jede Familie eine herzenswarme Zuneigung. Verwurzelt in diesem Mitgefühl bin ich bemüht, jede Familie in ihrer Einzigartigkeit möglichst nah an ihren Bedürfnissen zu begleiten – so, dass alle auf ihre Weise am Abschied teilhaben können.

Buchtipp von Eva-Maria Finkam:
«Seit Jahrtausenden erlaubt die Kunst den Menschen das, was ihr Innerstes bewegt für andere zugänglich zu machen. Mit dem Buch ‹federleicht› ist dies Renate Bucher-Probst authentisch tief aus dem Herzen einer Mutter gelungen. Seit sie mir ein Exemplar schenkte, steht es vor einer mit flaumigen Naturfedern gefüllten Glas Vase. Sie bewegen und berühren, diese ausdrucksstarken, daunenzarten Worte.» «federleicht» von Renate Bucher-Probst ist erhältlich unter: renate-bucher.ch
Lesetipp der Redaktion: «Wenn ein Kind stirbt: Wie Trauerfamilien Halt finden können» (Schweizer Elternmagazin Fritz und Fränzi)