Freiwilligenarbeit: Aufmerksamkeit für Geschwisterkinder

«Monique war zur richtigen Zeit am richtigen Ort»

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Die Sonne schafft es an diesem Wintertag zwar nicht durch die kalte Nebeldecke – dafür strahlt an ihrer Stelle die kleine Larya bis über beide Ohren. Auf dem Arm hält sie den schwarzweissen Kater Caruso, der unter ihren Streicheleinheiten genüsslich zu schnurren beginnt. Die 8-Jährige ist zu Besuch bei Monique Mettraux auf ihrem Bauernhof im Luzernischen Sempach. Die Landwirtin ist eine von 100 Freiwilligen, die für Pro Pallium regelmässig ehrenamtlich im Einsatz sind. Einmal wöchentlich verbringt Monique Mettraux einen Nachmittag mit Larya – meist bei sich auf dem 26 Hektar grossen Hof.

«Hier gibt es für Larya immer viel zu entdecken – und auch immer etwas zum Mitanpacken», erklärt die 57-Jährige. So misten die beiden etwa gemeinsam den Hühnerstall raus, sammeln die über Nacht gelegten Eier ein, bringen den 37 Milchkühen frisches Gras und Heu oder backen gemeinsam einen Kuchen. Im Sommer gehts auch mal in den Zoo oder in die Badi. Einmal sind die beiden sogar mit dem Velo von Laryas Wohnort Emmenbrücke bis nach Sempach gefahren. Aber am liebsten verbringt Larya ihre Zeit auf dem Bauernhof, zusammen mit Kater Caruso und beim gemeinsamen Spielen am Küchentisch mit Monique.

In diesen Momenten kann sie ganz
Kind sein und die ungeteilte Aufmerksamkeit geniessen. Aufmerksamkeit und damit auch eine Art Gelassenheit, die ihr zu Hause in Emmenbrücke manchmal fehlt. Denn Laryas Bruder ist schwer krank. Der 7-jährige Danyar leidet an der seltenen Erbkrankheit. Als der Junge im Oktober 2020 plötzlich auf einem Auge stark zu schielen begann, brachte eine Magnetresonanztomographie (MRI) einige Monate später die Diagnose: Adrenoleukodystrophie, eine unheilbare Stoffwechselkrankheit. Diese Diagnose, veränderte das Leben der ganzen Familie von einem Tag auf den anderen. Eine Knochenmarktransplantation in Deutschland sollte den Krankheitsverlauf auf­halten, der erhoffte Erfolg blieb jedoch aus. Mittlerweile ist Danyar vollständig er­blindet und in seinen motorischen Fähigkeiten stark eingeschränkt, so dass er die meiste Zeit im Bett oder im Rollstuhl verbringen muss und eine 24-Stunden-Betreuung braucht. 

Mutter Sanela und Vater Redar Zrary sind an der Belastungsgrenze – emotional, aber auch organisatorisch und gesundheitlich. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen. «Danyar benötigt rund um die Uhr intensive Pflege, jede halbe Stunde muss genau geplant werden», erklärt die dreifache Mutter. Dabei kämen Tochter Larya und ihr dreijähriger Bruder Darin leider oft zu kurz. Besonders in der Zeit kurz nach der Diagnose, als Danyar drei Monate im Kinderspital in Zürich verbrachte, blieb kaum noch Zeit für die beiden Geschwister. «Wir wünschten, wir hätten mehr Raum zum Durchatmen und Zeit für die ganze Familie, aber im Moment ist das einfach nicht möglich», so Vater Redar, der neben der Kinderbetreuung Vollzeit in der Produktion arbeitet. Gerade deshalb sei es für die Eltern eine umso grössere Erleichterung, dass Tochter Larya nun mit Monique Mettraux einen Anker in dieser schwierigen Zeit hat. 

«Eine Sozialarbeiterin im Kinderspital Zürich hat uns auf Pro Pallium aufmerksam gemacht und den Kontakt hergestellt»

«Eine Sozialarbeiterin im Kinderspital Zürich hat uns auf Pro Pallium aufmerksam gemacht und den Kontakt hergestellt», erinnert sich Sanela Zrary. Nach einem Gespräch mit der zuständigen Regionalleiterin der Stiftung im September 2021 sei es zu einem ersten Kennenlernen mit Monique Mettraux gekommen. Das Ziel der Zusammenkunft: Monique Mettraux als freiwillige Mitarbeiterin von Pro Pallium sollte gemeinsame Zeit mit Tochter Larya verbringen und ihr damit eine Auszeit vom oft schwierigen Alltag schenken. Die sogenannte Zeitgestaltung mit Geschwistern von schwerkranken Kindern ist einer der Grundpfeiler der Pro-Pallium-Familienbetreuung (Fachgespräch Geschwisterkinder).


Bereits nach dem ersten Treffen war für beide Seiten klar: Die Chemie stimmt.
Larya, die psychisch sehr unter der Erkrankung ihres Bruders litt, blühte nach nur wenigen Besuchen wieder auf. «Jedes Mal, wenn sie von Monique zurück nach Hause kommt, ist sie wie ausgewechselt – einfach entspannt und glücklich. Für uns Eltern ist es eine enorme Bereicherung, sie so zu sehen», sagt ihre Mutter. «Für uns gehört Monique nun schon fast zur Familie, und für Larya ist sie wie Grossmutter, Gotti und Cousine in einem. Ja, Monique war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.»

«Jedes Mal, wenn sie von Monique wieder nach Hause kommt, ist sie wie ausgewechselt»

Sanela Zrary, Mutter von Larya

Durch Inserat zur Freiwilligenarbeit

Mittlerweile sitzen Larya und Monique in der Küche und trinken heisse Schokolade. Sie spielen Laryas Lieblings-Kartenspiel «Sternenschweif». Hier geht es darum, sein Pony möglichst schnell in ein Einhorn zu verwandeln. «Wenn sie merkt, dass ich am Verlieren bin, schenkt sie mir extra ihre guten Spielkarten», so Monique Mettraux. «Larya ist enorm einfühlsam und hat ein ganz grosses Herz.» Das merke sie auch an ihrem intuitiven und liebevollen Umgang mit den Tieren auf dem Hof. 

Sie geniesse ihre «freien» Nachmittage mit dem aufgestellten Wirbelwind, ergänzt die Bäuerin lächelnd. Dabei ist Mettraux vor vier, fünf Jahren eher zufällig auf die Möglichkeit eines ehrenamtlichen Engagements bei Pro Pallium aufmerksam geworden. «In unserer Lokalzeitung ist mir damals das Inserat ins Auge gesprungen, auf dem die Stiftung nach freiwilligen Mitarbeitenden suchte. Aus irgendeinem Grund hat es mich sofort angesprochen. Meine Kinder waren damals bereits ausgeflogen, ich hatte wieder etwas mehr Zeit. So habe ich mich spontan bei der Geschäftsstelle in Olten gemeldet.» Nach einem Kennenlerngespräch und sechstägiger Basisschulung war die Sempacherin bereit für ihren ersten Einsatz. Bevor sie zu den Zrarys kam, war sie schon für eine andere Familie tätig. «Für mich ist dieses Engagement eine grosse Bereicherung, ich lerne dabei sehr viel für mich persönlich dazu.»

«Gewonnen!», ruft die kleine Larya mit erhobenen Händen. «Jetzt noch eine Runde Mikado.» Oder doch lieber etwas backen? Monique hat extra einen Teig vorbereitet. «Wir machen einfach beides», grinst Larya und zieht das erste Holzstäbchen vom wackligen Stapel. Die beiden lachen laut. Sie sind ein gutes Team.